
Westsahara
Die Marokkaner kriegen es fertig einen Tag vor der Zeitumstellung, diese abzuschaffen, nur bekommt das kaum einer mit und zu allem Überfluss scheinen selbst die eigenen Beamten überfordert. Sie veranlassen, dass auf sämtlichen Telefonen die Zeit trotzdem umgestellt wird. Das Chaos ist überall, kein Mensch weiß mehr, wieviel Uhr es ist. Ich bringe es trotzdem irgendwie fertig, Nils pünktlich abzuholen.
Großes Hallo, seit dem Ende unseres Studiums vor vier Jahren haben wir uns nur noch ein einziges Mal wieder gesehen. Auf dem Geburtstag eines ehemaligen Kommilitonen, vor einem Monat. Dort wurde dann praktisch auch schon der Flug gebucht. Spontan ist er, der Nils, so mag ich das und auch so werden wir uns bestens verstehen. Alles wie früher so zu sagen.
Wir fahren trotz Dunkelheit noch drei Stunden bis Guelmin, einer kleinen, einfachen Stadt am Rande der Westshara. Bei Mourad habe ich Safir kennengelernt, den Koch des Surfcamps, er ist in die Heimat gefahren, seine Schwester heiratet. Wie selbstverständlich hat er mich sofort eingeladen, als er gehört hat, ich fahre durch seine Stadt. Die Hochzeit war zwar schon gestern, das kleine Haus ist trotzdem voller Leute. Wir werden hereingebeten, schmale Treppen führen nach oben, wir ziehen die Köpfe ein und treten in die grob gemauerte Wohnung ein. Männer und Frauen sitzen in getrennten Räumen, der sichtlich stolze Vater erzählt uns von der gestrigen Hochzeit seiner Tochter, nimmt uns in die Mitte und gibt uns Küsschen auf die Wangen. Da ist sie wieder, die marokkanische Gastfreundschaft. Es gibt Fleisch mit Brot, gegessen wird von einem großen Teller mit den Händen. Acht hungrige Männer graben sich durch das Hammelfleisch und mein Magen wird das Ganze morgen (mal wieder) nicht überleben. Nils, gerade angekommen, mischt kräftig mit und wird auch auf der weiteren Reise jedes Straßenrestaurant genießen können. Wie unfair.
Schlafen können wir bei Safir aber trotzdem nicht, es ist kein Platz, zu viele Hochzeitsgäste sind noch da, wir werden zu einem Freund gebraucht. Wir fahren wieder quer durch die Stadt, es ist inzwischen Mitternacht, ein Afrikaner öffnet die Türe und wir legen uns ohne große Worte bei ihm auf die Couch. Safir holt uns morgen früh wieder ab, Nils und ich sind zu müde um über irgendetwas nachzudenken und schlafen sofort ein.
Das nächste Ziel ist die mauretanische Grenze, bis zu dieser sind es allerdings knapp 1.200km quer durch die Westsahara. Ein höchst unwirtliches Gebiet bestehend aus Steppe und Sand und noch viel mehr Steppe und Sand. Dazu ein unablässiger Wind, aus allen Richtungen kommend, zerrend an Kleidung und allem nicht festgezurrten Material, so laut, dass man sich gar anschreien muss, um sich zu verstehen. Es gibt keine Erhebungen, kaum Tankstellen und die Sonne brennt von morgens bis abends mit gnadenloser Hitze.
Die einzige Straße ist nicht zu verlassen, überall liegen ungeräumte Landminen aus dem bis heute brodelnden Konflikt zwischen dem Gebieter Marokko und der nach Unabhängigkeit strebenden Polisario-Bewegung. Polizeicheckpoints sind oft für Stunden unser einziger Kontakt zu weiteren Menschen, und in den wenigen Orten und kleinen Städten hat man das Gefühl, es gibt mehr Soldaten als Einwohner. Wir drücken das Gaspedal durch, lassen die Humvees und Militärtransporter hinter uns. Wir campen zweimal wild am Strand, die Polizisten an den nahen Checkpoints finden die Idee aber mal so gar nicht gut, mit der Bemerkung, „ich dachte hier sei ein freies Land“, lassen sie uns dennoch widerwillig ziehen.
Der nächtliche Sternenhimmel, so wahnsinnig groß und hell entschädigt für die anstrengende Fahrt. Nach zwei Tagen mit jeweils 10 Stunden Fahrt erreichen wir die Grenze der islamischen Republik Mauretanien. Ein Land in Europa mit unwahrscheinlich schlechtem Ruf, das Nils und mir wieder und wieder das Gegenteil beweisen wird.