
Senegal
Die Grenze zum Senegal gilt als äußert korrupt und kaum kommen wir dort an, erfinden die mauretanischen Soldaten etliche, neue Gebühren. Nicht mit uns, wir sind gut informiert, auf französisch mache ich ihnen klar, dass wir viel Zeit mitgebracht haben und zur Not den ganzen Tag in ihrem Grenzhäusschen sitzen bleiben. Irgendwann geben sie auf und wir bekommen unsere Pässe gestempelt. Auf dem Schwarzmarkt wechseln wir mauretanische Ouguiya in westafrikanische CFA, die Verhandlungen ziehen sich schier endlos, aber am Ende kriegen wir einen guten Kurs.
Auf der senegalesischen Seite läuft alles wieder Erwarten glatt, ich habe mir in Deutschland ein Carnet de Passage, eine Art Reisepass für das Auto, organisiert. Wir treffen andere Reisende aus Europa, die dies nicht haben und jetzt an der Grenze gestrandet sind. Sie sind gefundenes Fressen für die senegalesischen Zöllnern und werden ausnahmslos vor drei Möglichkeiten gestellt. Ihr Auto bleibt an der Grenze stehen und sie reisen ohne es weiter. Ihnen wird ein Begleitfahrzeug gestellt, dass sie innerhalb weniger Tage durch den Senegal eskortiert und sicherstellt, dass sie mitsamt ihrem eigenen Auto wieder ausreisen. Möglichkeit drei, sie erkaufen für einen hohen dreistelligen Betrag einen Passierschein und dürfen sich dann für eine bestimmte Zeit frei, mit ihrem Auto, im Senegal bewegen. Dies alles soll es Autoschiebern aus Europa, so schwer wie möglich machen, Fahrzeuge zollfrei zu importieren und im Senegal zu verkaufen.
Nils und ich kommen nachts in Dakar an, es ist schon mein drittes Mal in der westafrikanischen Metropole. Wir treffen Bacary, einen langjährigen Geschäftspartner meiner Firma. Er organisiert uns für die nächsten Tage ein kleines Apartment und wir verbringen die ersten Nächte seit langem nicht im Auto. Ich beantrage das in ganz Afrika nicht ganz einfach zu bekommenden Visa für Kamerun. Was allerdings bedeutet 18 Kilometer durch die Stadt zu fahren und das zwei Tage später noch einmal um meinen Pass wieder abzuholen. Jede Fahrt mit dem Auto, egal ob zwei oder zehn Kilometer, gleicht einem Tagesausflug. Zwischen den sich stauenden Autos, rennen Verkäufer auf und ab, von Türklinken über Toilettenpapier gibt es einfach alles, man kann einen ganzen Hausstand auch der Straße erwerben.
Straßenkinder, sie sind höchstens zehn Jahre alt, mit zerrissener und verdreckter Kleidung, oft mit dem noch kleineren Bruder oder Schwester an der Hand, klopfen an die Scheiben. Große, schwarze Augen schauen einen so herzzerreißend an, das es nahezu unmöglich ist, sie zu ignorieren. Das weiße in ihren Augen scheint dabei oft der einzig saubere Punkt an ihrem Körper zu sein. Dazwischen überholen links und rechts in atemberaubender Geschwindigkeit Motorroller, die wohl einzige Möglichkeit sich schnell fortzubewegen.
Wir stehen mal wieder im Stau und ein Knoblauchverkäufer drängt sich durch die Autos zu meiner Scheibe. Wir kommen ins Gespräch, er ist aus Guinea und ist illegal in Dakar. Wieviel er pro Tag verdient, frage ich ihn. Etwa 2€, er spart um nach Europa zu reisen. 700€ verlangen Schlepper momentan für die Überfahrt per Schlauchboot an die spanische Küste, dafür muss man sich aber erstmal in Lastwägen bis nach Marokko schmuggeln. Dakar scheint aus allen Nähten zu platzen, wir lassen den Verkehr hinter uns und verbringen Nils letzten Tag am Strand. Von meinem vorherigen Urlaub kenne ich nahezu die komplette Surfszene aus Dakar, die zwar klein ist, dafür ein sehr verschworener Haufen. Kouka, Jacky, Mbour, Adama, Happy, unglaublich, fast alle haben sie jetzt ihre eigene Familie und ein Strandcafe oder Surfshop eröffnet. Vor drei Jahren, als ich sie das letze Mal gesehen habe, sah das noch ganz anders aus.
Dann fliegt Nils nach Deutschland zurück, mit unzähligen Stunden Videomaterial aus Kamera, Drohne, GoPro und einem halbstündigen Interview mit mir im Gepäck. Ich bin unglaublich gespannt auf seinen geplanten Film. Ich bleibe nicht alleine, mit dem gleichen Flieger, mit dem Nils zurückfliegt, ist gerade Matze gelandet.
Es ist Samstagabend und wir stürzen uns in das wilde Nachtleben von Dakar. Weit über den Dächern der Stadt auf einem Hügel, dreht sich das Licht des alten Leuchtturmes, direkt darunter ein Openair-Club, dazu laufen europäische Houseklänge. Wir trinken Bier, schauen über die beleuchtete Silhouette der Stadt und fühlen uns ziemlich weit weg von Stress der Stadt. Später landen wir in einem Tanzclub, es ist heiß und stickig, wir sind die einzigen Weißen und gucken uns die wilden Einlagen der Männer und Frauen an. Ein gewonnenes Dancebattle kann hier schon mal mit Applaus der gesamten Tanzfläche bedacht werden.
Die Abfahrt am nächsten Tag verzögert sich aufgrund der langen Nacht am Vorabend, dafür bauen wir noch ein Moskitonetz in mein Dach ein. Ab jetzt beginnt das Hochrisikogebiet für Malaria und eine Infektion würde wohl das Ende meiner Reise bedeuten. Wir schmieren uns jeden Abend mit Chemikalien ein, die unsere Gesichtsmuskeln erlahmen lassen und teuflisch brennen. Gestochen werden wir dafür nicht mehr.
Wir übernachten an einem traumhaften, mit Palmen bewachsenen Sandstrand, der außer ein paar Jugendlichen komplett verlassen ist. Es sieht aus wie das Paradies, und es fällt uns schwer aber wir müssen am nächsten Morgen trotzdem weiter und fahren dabei immer tiefer in das Saloum-Delta. Die Gegend ist von großen Flüssen durchzogen, die wir nicht durchfahren können. Wir müssen oft umdrehen und uns in kleinen Dörfern, nur bestehend aus Bambushütten, nach der geeigneten Stelle durchfragen. Sobald wir ankommen, stürzen jedes Mal eine Heerschar lachender Kinder an unser Auto und rufen „Toubab, Toubab“. Der weiße Mann ist da.
Mit einer kleinen Fähre überqueren wir die letzte große Flußader und steuern danach einen kleinen Campingplatz am Ufer an. Zumindest hatte ich gehört, dass dort einer seien sollte, aber das ist nicht Fall. Wir treten trotzdem ein und überqueren eine Wiese, an deren Ende eine kleine Hütte ist. Auf französisch entwickelt sich ein Gespräch, dass so typisch für die afrikanische Gastfreundschaft ist. „Hallo, ich hatte gehört, hier wäre eine Art Campingplatz“, „Ich bin Rosalie, das ist mein Haus und kein Campingplatz“, „Oh, das tut mir leid, es ist schon spät, können wir vielleicht die Nacht…“, Bevor ich ausrede, kommt als Antwort „Klar, stellt euer Auto dorthin, meine Tochter hat heute Geburtstag, setzt euch einfach dazu.“ So feiern wir bei Kuchen und selbst gebackenen Chips den zehnjährigen Geburtstag der kleinen Mina.
Es ist schon dunkel, als wir zum Auto zurückgehen und einzig das Rauschen des Flusses und das gedämpfte Lachen der Kinder, zwanzig Meter weiter, ist zu hören. Ich liege auf den Aluboxen und sehe am rechten Rand meines Blickfeldes die verschwommene Kontur von Matze, wie er still sein Bier trinkt. Daneben flackert das schummrig gelbe Licht der Petroleumlampe, links wiegen Palmenblätter sanft im Wind, der Rest meines Blickfelds ist ausgefüllt vom Sternenhimmel. Und während ich schweigend in den Himmel starre, füllt mich ein Gefühl aus, dass ich in letzter Zeit schon einige Male gespürt habe und das ich wahrscheinlich zum letzten Mal vor zwanzig Jahren hatte: eine Mischung aus kindlicher Unbeschwertheit, ein Leben ohne Druck und Stress und so fühle ich mich für einen kurzen Moment sehr frei.
Aber es ist nur ein kleiner Moment und das ist auch gut so – zu Hause wartet mein Job, meine Familie, Freunde und jede Menge spannender Verpflichtungen. Und der Rest der Strecke bis nach Südafrika wird ebenfalls alles andere als eine Spazierfahrt.
Am nächsten Abend sind wir irgendwo im Dschungel und kommen nicht mehr weiter. Der Weg hat sich in den letzten hundert Metern so verengt, dass nur noch Motorräder hindurch passen. Links und rechts meterhohe Bäume und grünes Dickicht und so beschließen wir einfach an Ort und Stelle zu übernachten. Als wir das Dach aufmachen, riecht das ganze Auto nach Bier und nach genauerer Inspektion, sehen wir das ganze Ausmaß der Katastrophe. Wir hatten einige Flaschen Bier im Dachzelt gelagert und eine, im Senegal größer als einen halben Liter, hatte sich während der Fahrt geöffnet und sich komplett über die Matratze verteilt. Es ist alles nass und stinkt nach Bier, von der Matratze, bis zu den Schlafsäcken und dem Moskitonetz. So verbringen wir den letzten Abend im Senegal putzend und schrubben im Dschungel, aber auch das gehört dazu. Überdies stellt sich später heraus, dass die ganze Nacht hindurch Motorradfahrer den kleinen Pfad durch den Wald befahren. Sie können uns nicht sehen, fahren aber laut knatternd, nur durch das undurchdringbare Dickicht getrennt, fünf Meter entfernt uns vorbei. Wir schlafen trotzdem tief aber nicht sehr lange. Der Wecker klingelt früh und wir brechen auf Richtung Gambia.