Mauretanien

Mauretanien

8th November 2018 Aus Von Maxi Brommer

Wir erreichen die Grenze, die Ausreise wird durch die marokkanische Polizei koordiniert, es werden unzählige Stempel verteilt, wir werden von einem Grenzer zum nächsten geschickt. Wir verlieren schnell den Überblick, doch irgendwie scheint es ein System zu geben. Es braucht Geduld, aber selbst ohne Bestechung sind wir nach zwei Stunden durch, unser Auto wird noch durch einen riesigen Scanner gejagt, die Drohne finden sie wieder nicht. Es folgt eine vier Kilometer lange Fahrt, durch die von der UN kontrollierten Sicherheitszone, man braucht schon fast einen Geländewagen um das Geröllfeld zu queren. Dutzende Autos haben dies nicht geschafft, sie liegen achtlos und ausgeschlachtet am Wegesrand. Die mauretanische Grenze wird von Soldaten in grünen Uniformen und mit Turbanen verhüllten Gesichtern bewacht. Wir wehren aufdringliche Schlepper, Geldwechsler und Telefonkartenverkäufer ab und kämpfen uns durch den Dschungel der mauretanischen Bürokratie, nach weiteren zwei Stunden haben wir Visa, Passavant (Durchfahrtsgenehmigung für das Land) und Versicherung in der Tasche. Dass Nils auf dem Foto seines Visums ein Stirnband trägt und ich ein Halsband, stört dabei keinen.
3 Millionen Einwohner leben in Mauretanien, auf einer Fläche dreimal so groß wie Deutschland, die meisten davon in den beiden Küstenstädten Nouakchott und Nouadhibou. Für die meiste Reisenden ist der Wüstenstaat nur ein Transitland, auf dem Weg in den Senegal.

Aber das Land hat so viel mehr zu bieten, und Nils und ich wollen tief ins das unbekannte Landesinnere vorstoßen. Hier wird in großem Stil Erz abgebaut und auf einem drei Kilometer langen Zug (der längste der Welt) nach Nouadhibou transportiert. Drei Tage wollen Nils und ich der Eisenbahnlinie durch die Wüste folgen. Alleine, Querfeldein, ohne Straße, ohne dabei auf Zivilisation zu treffen. In Nouadibhou füllen wir unsere Vorräte auf bis unters Dach, 150l Diesel, 70l Wasser, 40 Konservendosen. Der Spielraum für Fehler ist klein und vor ein paar Monaten wäre dieser Trip für mich unvorstellbar gewesen, aber ich fühle mich sicher und allen Unwägbarkeiten gewappnet, das Auto ist zuverlässig und Nils ist Feuer und Flamme. Später werden wir von diversen Einheimischen hören, dass die Strecke aufgrund der durchgehenden Minengefahr und der extrem langen Distanz selbst von erfahrenen Wüstenfahrern nicht befahren wird.

Der Tag vor der Wüsten Durchquerung, es ist bereits früher Abend bis wir mit den Einkäufen fertig sind und der Hunger uns in ein Straßenrestaurant treibt. Wir riskieren zwei Portionen Hühnchen und bekommen eine wagenradgroße Platte mit Pommes, Reis, Eiern, Salat, Gemüse, Hühnchen, dazu Mayonnaise und Ketchup. Es ist alles darauf, was uns ins Verderben reiten können. Trotz dessen, dass uns bewusst ist, dass es unsere Henkersmahlzeit seien könnte, sind wir so hungrig, dass wir nahezu alles aufessen. Mir fällt ein, ich habe noch einen Flachmann mit Obstler, wir trinken jeder einen kräftigen Schluck, mit der naiven Hoffnung so unsere Mägen zu desinfizieren. Es scheint zu klappen, keiner wird krank und ein neues Ritual ist geboren. Nach jedem Essen von der Straße muss der Flachmann ran.
Wenig später sitzen wir am Strand von Nouadhibou und beobachten den unwirklichen Schiffsfriedhof. Etliche auf Grund gelaufene, Schiffe, von kleinem Fischkutter bis großen Öltransportern rosten hier seit Jahrzehnten in Ufernähe vor sich hin. Ein unglaubliches Schauspiel.
Ich komme mit Ahmed ins Gespräch, einem Angler, der hofft, mit frischem Fisch das Abendessen seiner Familie bereichern zu können. Es stellt sich heraus, er arbeitet in einem großen Hotel und sogleich lädt er uns ein auf dessen Parkplatz zu übernachten, das Wlan Passwort bekommen wir gleich auch noch mit. Wir liegen im Dachzelt und haben Internet, was ein Luxus.
Am nächsten Morgen geht es los Richtung Wüste, an den diversen Checkpoints – man wird jedes Mal gefragt, wohin man will – erklären uns die Soldaten für verrückt, als wir ihnen erklären, wir wollen in die Maurenstadt Atar entlang der Eisenbahnlinie fahren. Mit Blick auf das Auto, kommt meistens gleich die Frage mit, bei welcher Rallye wir gerade mitfahren.
Nach 80 Kilometern ist es soweit, wir verlassen die Teerstraße, lassen Luft aus den Rädern und pflügen durch unberührten Sand. Wir halten uns strikt südlich der Eisenbahnschienen, nördlich davon verläuft die Grenze zur Westsahara, das Gebiet ist bis heute schwer vermint. Mit GPS und Kompass halten wir Kurs Richtung Osten, die Schienen mal fünf Meter, mal zweihundert Meter links neben uns. Wir passieren wilde Dromedarherden, fliegen mit der Drohne über ihre Köpfe hinweg, der Sand ist mal lockerer mal fester, aber auch Nils ist inzwischen mit dem Auto und dem Spiel mit dem Gaspedal vertraut und wir fahren uns nicht nennenswert fest.
Wir erreichen ein ausgebranntes Auto, Nils steigt aus und will durch das Wrack hindurch fotografieren. Wir fragen uns, ob es auf eine Mine gefahren ist, so verkohlt wie es in der Sonne liegt. Er läuft trotzdem hin, ich bleibe im Auto sitzen und beobachte wir er sich auf Zehenspitzen nähert. Ich muss lachen, werde dann nachdenklich und finde es auf einmal gar nicht mehr witzig. Es geht gut und nichts passiert, wir fahren weiter und finden nach sechs Stunden Fahrt in der schier endlosen Ebene eine Felskuppe, fast unwirklich ragt sie 50 Meter in den Himmel. Wir klettern hoch, die Sonne geht langsam am Horizont unter, wir drehen uns um die eigene Achse, kein Anzeichen von menschlichem Leben. In jede Himmelsrichtung Wüste, soweit bis das Auge Erde und Himmel eins werden lässt. Von hier sieht die Wüste wunderbar friedlich aus, aber wir haben heute schon etliche verendete und skelettierte Dromedare am Wegesrand gesehen. Ich frage mich, woher diese Tiere hier überhaupt Wasser beziehen und kann mir die Frage nicht beantworten. Es ist wirklich eine unwahrscheinlich unwirtliche Gegend.
Es wird dunkel und in einer Stunde wird sich der Himmel in ein Naturschauspiel verwandelt haben, wie Nils und ich es noch nie gesehen haben. Abermilliarden von Sternen ziehen auf, es erscheint surreal, so hell erleuchten die Sterne den Wüstensand. Die Milchstraße, breit wie ein vierspurige Autobahn, spannt sich von Horizont zu Horizont.

Wir sind sprachlos, liegen im Sand, Sternschnuppen verglühen und fliegen wie Feuerbälle für Sekunden durch die Hemisphäre.
Wir gehen schlafen, um nur nach Minuten wieder hochzuschrecken. In unmittelbarer Nähe nähert sich ein LKW, der Motor ist schon unglaublich nahe, wir springen auf, laufen im Dunkeln zur Anhöhe. Wurden wir entdeckt? Wir hatten extra kaum Licht gemacht und unsere Fahrspuren verwischt. Kein Scheinwerferlicht zu sehen, wir sind ratlos, der LKW scheint immer noch zu fahren, bis es uns klar wird und wir in der Ferne den kilometerlangen Zug, wie an einer Schnur gezogen, vorbeiziehen sehen.

Vor unseren Augen taucht der Monolith Ben Amira am Horizont auf, der drittgrößte Monolith der Welt. Wie ein Pilz ragt er aus dem Boden. Wir nähern uns vorsichtig und müssen dafür das einzige Mal die Gleise in nördliche Richtung überqueren. Hier sollen wohl alle Minen geräumt worden sein, ein komisches Gefühl bleibt trotzdem. Wir fahren bis zum Fuß des Monolithen, der über eindrucksvolle 500 Meter hoch ist.
Nach 450 Kilometern Fahrt durch die Wüste erreichen wir Choum, die ersten Ansammlungen kleiner Hütten. Es gibt Diesel aus geschmuggelten Fässern, den wir aber meiden. Ab hier beginnt die Teerstraße nach Atar, der heimlichen Hauptstadt der Mauren, die gleichzeitig die Rückkehr in die Zivilisation bedeutet. Plötzlich Militär, schwer bewaffnete Soldaten halten uns an, Funksprüche werden durchgegeben, wir dürfen weiterfahren, ein Pickup mit schussbereiten Geschütz eskortiert uns über einen kleinen Pass. Oben noch mehr mauretanisches Militär, mit Sturmhauben und automatischen Maschinengewehren streifen sie durchs Gelände, 30-40 Soldaten, aufgeteilt auf acht Pickups, sind es bestimmt. Ob es ein Problem gebe, frage ich, nein alles gut, wir sollen weiterfahren. Wir lassen ein paar Zigaretten da, die wir gekauft haben, um so manchen Gegenüber gut zu stellen und schauen, dass wir weiterkommen. Über die Gründe dieser Operation können wir nur spekulieren.
Wir erreichen Atar, tanken, machen Besorgungen. Die Sonne ist schon untergegangen, als wir von der Hauptstraße ins Gelände abfahren, das Licht reicht gerade noch aus, wir haben die Scheinwerfer ausgeschaltet und verstecken uns hinter einen kleinen Felskette. Die Handgriffe sitzen und ohne Licht anzumachen, bauen wir unser Nachtlager auf.

Am nächsten Tag erreichen wir Mauretaniens Hauptstadt Nouakchott. 1.5 Millionen Einwohner, die Hälfte der Einwohner dieses Landes, wohnen hier. Ein gerade aberwitziges Moloch, dreckig, chaotisch, laut. Der Verkehr ist beispiellos, die Autos allesamt schrottreif, Keilriemen kreischen, aber trotzdem fahren sie irgendwie weiter. Wir haben alle Mühe unser Auto ohne Schaden durch die Stadt zu kriegen, zwischen den sich rammenden Autos und dem Gewusel von Menschen, Ziegen und Eseln. Der Defender hat die Fahrt durch die Wüste auch nicht ganz schadlos überstanden. Wir verlieren Öl am rechten Hinterrad, das Schloß der Hecktür und des Tankdeckels haben sich mit Sand zugesetzt und lassen sich nicht mehr verschließen.
Wir legen einen Restday ein, schlafen bei Haj, einem Restaurantbesitzer im Garten, joggen morgens am weißsandigen Strand, beobachten die heimkehrenden Fischer in ihren Piroggen und springen in den warmen und stürmischen Atlantik.
Auf dem Schwarzmarkt von Nouakchott lassen wir das Auto reparieren, originale Teile gibt es nicht, aber was nicht passt, wird passend gemacht. Jedes Problem wird in einer anderen, noch wilderen Hinterhofwerkstatt repariert, der Tankdeckel verschwindet für mehrere Stunden in dem undurchschaubaren Strudel der Stadt, nur um in einer anderen Hand wieder aufzutauchen – und funktioniert wieder.
Wir machen uns auf Richtung Senegal, zehn Kilometer vor der Grenze schlagen wir unser Lager im Busch auf, zwischen Warzenschweinen und zehntausenden von Mücken. Der Fluss Senegal breitet hier schon seine Seitenarme aus. Ab hier ist die Wüste endgültig zu Ende, die Malaria-Zone beginnt. Es ist verrückt, wenn ich darüber nachdenke, dass wir selbst in Mauretanien jede Nacht wild gecampt haben. Einzig Haj, dem Restaurantbesitzer in Nouakchott, haben wir einen Obolus gegeben, dafür dass wir in seinem Vorgarten schlafen durften.
Nils kocht zu guter Letzt auch noch das wohl beste Risotto, das je in der Grenzregion Mauretaniens und des Senegals gekocht wurde. Wir gehen zufrieden ins Bett, morgen wartet eine neue Grenze, ein neues Abenteuer, ein neues Land.