Kamerun

Kamerun

25th Januar 2019 Aus Von Maxi Brommer

Kameruns Offizielle an der kleinen Grenze im Nordosten sind freundlich und freuen sich über den seltenen Besuch weißer Reisender. Vielleicht liegt es aber auch an dem Palmwein, den die vier Zollbeamten augenscheinlich schon den ganzen Tag trinken. Wir werden zu einem Becher eingeladen, der in Ermangelung an Gläser aus aufgeschnittenen Plastikflaschen getrunken wird. Er ist ziemlich stark und die Männer sind entsprechend gesprächig. So kommen wir in den Genuss zu erfahren, was es mit den vier sechsrädrigen LKWs Marke Pinzgauer auf sich hat, die ebenfalls auf die Einreise in den Kamerun warten. Die ehemaligen Schweizer Armeefahrzeuge gelten als extrem widerstandsfähig und ich habe sie in Afrika noch nie gesehen.

Es sind Schmuggler, die aus Nigeria kommend, tonnenweise billiges Benzin geladen haben und augenscheinlich gerade den Zoll bestechen, um passieren zu dürfen. Von Kameruns fahren sie nach Osten in den Chad, drehen dann Nordwärts nach Niger und fahren über Mali nach Mauretanien. Dabei durchqueren sie nahezu die komplette Sahara und kreuzen sämtliche Extremisten-Gebiete, die es so gibt in Afrika.
Was für eine Route und gleichzeitig auch eine, von der ein Weißer im Moment wohl nicht zurückkommen würden.

Zwei Stunden holpern Dave, der australische Motorradfahrer, und ich noch weiter durch die Wildnis bis wir in die Stadt Banyo kommen. Die Rückkehr in die Zivilisation und gleichzeitig ein Meilenstein. Nigeria und alle damit verbundenen Gefahren liegen hinter uns. Es ist Weihnachten, aber nur für mich, in Kamerun wird erst einen Tag später gefeiert.

Bei Dave und mir fällt eine unglaubliche Anspannung ab. Weihnachtsstimmung kommt allerdings nicht auf, zu fern ist Deutschland, zu weit weg Familie und Freunde und auch mein Leben hat mit dem im Deutschland so gar nichts mehr gemein. Während zu Hause wiederkehrende Abläufe mein Leben bestimmen, kämpfe ich hier jeden Abend das heute Erlebte überhaupt zu verarbeiten.

Wir fahren weiter Richtung Küste, die Straße ist staubig und hart. Mir kommt ein Motorrad mit den üblichen 4-5 Personen entgegen und während es mich passiert wird es von hinten von einem anderen Auto in den Straßengraben gedrängt. Im Rückspiegel sehe ich das Auto unbeirrt weiter rasen und eine Gruppe von Menschen in einer Staubwolke verschwinden. Ich drehe sofort um, zum Glück ist nichts schlimmeres passiert.

Eine Frau hat großflächige Schürfwunden, konnte aber ihr Baby, das sie um den Rücken gebunden hat, schützen. Ich habe in Afrika noch nie ein Kind weinen sehen und auch diese Baby ist selbst nach dem Unfall still. Unglaublich. Ich versorge die Wunden der Frau so gut es geht und gebe dem Fahrer ein paar Francs um sein Motorrad zu reparieren.
Leider ist diese Szene nichts besonderes, vielmehr mehr noch alltäglich, die Unfallgefahr ist in allen Ländern durchgehend hoch.

Schrottreife Autos auf schlechten Pisten, völlig überladen, mit überhöhter Geschwindigkeit und schlechten Fahrern sind absoluter Standard auf Westafrikas Straßen. Jeden Tag passiere ich Autowracks am Straßenrand, so verformt, dass man sieht, hier ist keiner lebend herausgekommen. Und das es keinen Schrottplatz gibt, bleiben die verunfallten Autos einfach an Ort und Stelle liegen.

Dave und ich kommen in Bafoussam an, eine Transitstadt zwischen Bamenda und der Hauptstadt Yaounde. Es ist der 25. Dezember – Weihnachten in Kamerun. Von hier sind es nur drei Stunden Fahrt in die Konfliktregion im Westen des Landes. Wir bekommen davon erstmal nichts mit, ganz im Gegenteil. Die ganze Stadt ist auf den Beinen, wir setzen uns in eine Bar und schauen Kameruns Jugend beim Tanzen zu. Selbst kleine Kinder haben hier schon ein Rhythmusgefühl, das ich nie erreichen werden. Natürlich fallen wir sofort auf und so dauert es nicht lange bis wir zum Tanzen aufgefordert werden. Es wird eine witzige Nacht und mir scheint es, als könnten alle Leute ihre Sorgen für ein paar Stunden vergessen. Und das liegt nicht nur an den Unmengen an Alkohol, die jeder zu trinken scheint, sondern auch an den ungelenken Tanzeinlagen der beiden fremden weißen Menschen.

Am nächsten Tag geht es weiter in die Hauptstadt Yaounde. Sowohl Dave’s Motorrad, als auch mein Auto benötigen Pflege und wir sind ebenfalls nach der psychisch anstrengenden Durchquerung Nigerias ausgelaugt. An einer kleinen Mautstation nehme ich einen Einheimischen mit. Er arbeitet in Bamenda, der Provinzhauptstadt der Konfliktregion. Was er mir erzählt, ist beunruhigend.

Westliche Beobachter sind in diesem Teil des Landes nicht zugelassen und so gibt es kaum verlässliche Quellen. Kameruns anglophone Minderheit fühlt sich seit Jahren von der frankophonen Mehrheit, die auch politisch das Sagen hat, unterdrückt. Die Gründe der Spannungen sind sicherlich vielschichtig, resultierten aber in dem Fakt, dass Rebellen einen eigenen Staat ausgerufen haben und einen bewaffneten Kampf gegen Regierungstruppen führen. Über eine halbe Millionen Menschen sind seitdem vertrieben worden und es gibt wohl eine fünfstellige Anzahl an Toten.

Mein Mitfahrer erzählt mir, in Bamenda herrscht Ausnahmezustand. Es gleicht teilweise einer Geisterstadt, besonders abends geht keiner freiwillig vor die Tür. Nach 20 Uhr herrscht zudem Ausgangssperre, auch Autos werden dann nicht mehr in die Stadt gelassen. Straßen, die einzelne Dörfer verbinden, werden von Taxis gemieden, da bewaffnete Überfälle von Banditen an der Tagesordnung sind. Teilweise sind ganze Dörfer verlassen – die Bewohner verstecken sich im Wald. Kamerun steht kurz vor Ausbruch eines Bürgerkrieges und man kann nur hoffen, dass sich die Situation nicht noch weiter verschlechtert.

In Yaounde finden Dave und ich Unterkunft in einem Waisenhaus, das von Darius, einem polnischen Missionar, geleitet wird. Dort leben ca. 40 Kinder, im Alter von drei Jahren bis Anfang 20. Wir fühlen uns von Anfang an sehr wohl, für die Kinder sind wir Popstars, für Darius eine willkommene Abwechslung zu seinem Alltag. Er spricht nur Französisch und so spiele ich in den nächsten Tagen auch den Dolmetscher für Dave.
Während die Kinder zusammen essen,sitzen wir mit dem polnischen Missionar an einem extra Tisch. Morgens zählen Dave und ich per Hand die Wörter, die aus seinem Mund kommen.

Wir bleiben fünf Tage und als wir beim dritten Frühstück nur noch ein „Bonjour“ zu hören bekommen, denken wir, jetzt sind wir am absoluten Tiefpunkt angekommen. Aber Darius setzt noch einen drauf und wir nehmen wortlos Frühstück Nummer vier zu uns.
So wortkarg er morgens ist, umso leichter fällt ihm das Reden und Lachen abends, nach ein paar Bier und einigen Gläsern Whisky.
Darius mag um die sechzig sein und ist seit 27 Jahren in Kamerun. Die meiste Zeit hat er in einem kleinen Dorf im Osten Kameruns verbracht, vor zehn Jahren hat er sein zweites Waisenhaus in Yaounde eröffnet. Von dem Sammeln der Spenden bis zur Organisation von Handwerkern und dem Leiten der Messe macht er alles selbst.

Besonders in seinen ersten Jahren muss er ein unglaublich raues Leben, mit weniger als gar keinem Komfort, geführt haben. Der Osten Kameruns war und ist kaum erschlossen und obwohl er ein katholischer Missionar ist, wurde er dort oft Opfer von Gewalt. Pistole im Mund und am Hinterkopf, Messer an der Kehle, gefesselt am Boden, Darius hat alles mitgemacht. Mit Genehmigung der örtlichen Polizei darf er seither selber eine Waffe führen. Begründung: er muss sein Waisenhaus selber schützen.
In Yaounde aber ist es ruhig, die Kinder sind wahnsinnig gut erzogen, alle haben ihre feste Arbeit, die sie im Heim zu erledigen haben, bevor sie zur Schule gehen.
Dave und ich schreinern zwei Schränke, die zwar eher dem afrikanischen Standard, als dem europäischen genügen, aber alle Kinder freuen sich trotzdem.

Ersatzteile für mein Auto sind nicht aufzutreiben, obwohl ich mich zwei Tage lang durch den Schwarzmarkt von Yaounde treibe. Ich bin schon am aufgeben, als ich einem Mechaniker mein Leid beichte. „Kein Problem, wir bauen dir die Teile selbst“ und so habe ich nach zwei weiteren Tagen zehn neue Dämpfer aus alten Autoreifen gefräst, nahezu millimetergenau. Dazu eine geschweißte Stahlkappe, die eigentlich aus Gummi ist. This is Africa, es ist einfach alles möglich.

Am 2. Januar geht es weiter, 250 Kilometer südlich an die Grenze von Gabun. Die Beamten dort sollen übergenau sein und so gar nicht afrikanisch. Und leider sind sie das tatsächlich. Mein Visum beginnt erst drei Tage später und auf Teufel komm raus, wollen sie mich nicht früher einreisen lassen. Weder der Anblick meines Geldbeutels, noch der Fakt, dass ich Ihnen ihr staubiges Grenzbüro ausfege, bringt mich einen Zentimeter weiter nach Gabun.
Das bedeutet zurück nach Kamerun, in der grenznahen Stadt Ambam nutze ich die zwei Tagen um nahezu pausenlos zu essen, in der Hoffnung ein paar meiner, auf der Reise, verlorenen Kilos Gewicht zurückzubekommen.