Guinea

Guinea

6th Dezember 2018 Aus Von Maxi Brommer

Wir überqueren die kleine und nahezu unbekannte Grenze, über einen riesigen Fluss, der Guinea-Bissau und Guinea an dieser Stelle trennt. An beiden Ufern türmt sich der Dschungel zu einer schier unüberwindbaren Wand auf, man kann keinen Meter hineinblicken. 

Eine Brücke gibt es nicht, nur ein kleines Floß. Es passt genau mein Auto und das Motorrad von Matthias darauf. Nach einigem Hin und Her einigen wir uns auf einen Preis und setzen über. Der Motor der Fähre ist allerdings gerade kaputt, aber der „Kapitän“ heuert kurzerhand aus dem nächsten Dorf ein paar Jungs an und wir werden per Hand, nur an einem Drahtseil, über den mehrere hundert Meter breiten Fluss gezogen.

Wir sind völlig kaputt und bitten im nächsten Ort um einen Platz für die Nacht. Mitten auf dem Dorfplatz dürfen wir campieren und sogleich bildet sich gleich eine riesige Menschentraube um uns. Wer sind wohl diese merkwürdigen Touristen, mit ihrem Zelt auf dem Auto?

Am nächsten Tag brechen wir um 8 Uhr auf, heute liegen zehn Stunden extrem schlechte Piste vor uns. Teer werden wir heute nicht sehen, dafür Schlaglöcher in denen ein kleines Kind verschwinden könnte. 

Es ist 14 Uhr, Matthias hat aus Müdigkeit schon einen Sturz hingelegt, als wir an einem Checkpoint gestoppt werden. 

Matthias wird durchgewunken und auch mir wird bedeutet weiter zu fahren. Der Polizist lässt schon die Eisenkette herunter, als im Hintergrund ein weiterer aufspringt und auch mich zu rennt. 

„Sofort rechts ranfahren, Führerschein und Fahrzeugschein“. 

Es ist der junger, muskulöser Commandant, der mit seinem martialischem Auftritt sofort klar macht, dass er der Chef der Einheit ist. Ich händige ihm beide Dokumente aus und folge ihm, keiner Schuld bewusst, zu seinem Verschlag.

Ich bin müde und er ist einen Tick zu laut und zu unfreundlich. Ich bin ohne Gurt gefahren und mit Flipflops. Ich zeige ihm die völlig überladenen lokalen Lastwägen und Autos die gerade den Checkpoint passieren. Deren Fahrer sind natürlich allesamt ohne Gurt unterwegs und tragen keine festen Schuhe. Die Leute sitzen zu sechst auf den Autodächern und er will mir erzählen, ich befolge die Sicherheitsvorschriften nicht. 

140.000 Francs Guinean soll ich zahlen, umgerechnet ungefähr 15€. Zahlbar in dem nächsten Präsidium, das allerdings vier Stunden Autofahrt entfernt ist. Dann soll ich mit dem abgestempelten Strafzettel wieder zurückkommen, um meine Dokumente wiederzubekommen. Ich sehe das mal gar nicht ein und mache ihm lauthals deutlich, dass ich auf gar keinen Fall zahlen werde. Mein Auftritt lässt Rambo kochen und er zieht wütend meine Dokumente ein, während ich trotzig zum Auto zurück stapfe. 

Matthias und Jan sehen die ungleiche Behandlung zwischen uns und den restlichen Autos ebenfalls nicht ein und so beschließen wir an Ort und Stelle zu verharren, bis es den Polizisten zu bunt wird.

Es ist eine skurrile Situation, inmitten der staubigen, einspurigen Straße, weit weg von der Zivilisation stehen wir jetzt neben der Schranke des Checkpoint. All das passiert direkt in Sichtweite der vielleicht zehn Mann starken Einheit. 

Wir bauen Tisch und Stühle auf und fangen an Gemüse zu schneiden. Bewusst langsam kochen wir Reis und machen uns anschließend Kaffee, dazu liest uns Jan aus dem Reiseführer vor. 

Wir machen der Polizei deutlich, dass wir extrem viel Zeit haben.

Drei Stunden sind so jetzt schon vergangen. Wir belustigen uns an dem Schauspiel zweier kämpfenden Bullen, die krachend ihre Hörner ineinander verkeilen. In dem nahen Fluss waschen sich Kinder und Frauen und laufen nackt zwischen unseren Kisten umher. 

So passiert lange Zeit nichts und als es langsam dunkel wird, fragen wir höflich nach, wo wir denn zelten dürften. 

Den Polizisten reißt der Geduldsfaden, von mehreren Seiten wird laut auf uns eingeschrien. Wir drohen damit bei unserer Botschaft anzurufen und fordern die Namen aller Polizisten ein. 

Rambo ist nicht da, wird jetzt allerdings dazu geholt, als die restlichen Polizisten merken, dass sie die Situation nicht in den Griff bekommen.

Es kommt der große Auftritt von Rambo, schäumend komm er um die Häuserecke gerannt. Er ist größer als ich und an seiner Gestik und seinem Gesichtsausdruck sehe ich, dass der Spaß vollends vorbei ist. 

Ich setzte trotzdem noch einen drauf und verklickere ihm, dass ich mich morgen früh quer mit meinem Auto über die Straße stellen werde und seinen Checkpoint sperren werde. Rambo entgleisen alle Gesichtszüge, sowas ist ihm noch nie untergekommen. 

Die Situation eskaliert jetzt total, sein Gesicht ist nur noch drei Zentimeter von meinem entfernt und er brüllt so laut, dass das ganze Dorf zusammenschrickt. Ich werde aus der Polizeistation geschmissen und wir beschließen unser Nachtlager etwa 200 Meter weiter aufzubauen.

Auf dem Weg dorthin vergessen wir nicht dem ganzen Dorf zu erzählen, dass wir nun gezwungen sind neben der Straße zu campieren und uns extrem unsicher fühlen. 

Der Plan geht auf, nach zwanzig Minuten steht das gesamte Bataillon, inklusive Rambo, vor uns. Wir sollen bitte direkt neben ihrer Station unser Lager aufschlagen und nochmal in Ruhe zum Gespräch kommen. 

Dass uns Nachts etwas zustößt und das dies auf ihre Einheit zurückfällt, ist ihnen dann doch zu heikel geworden.

Wir sitzen wieder gemeinsam am Tisch, inzwischen wurden mehrere Militärs als Vermittler geholt. Wir einigen uns schließlich, zermürbt von einem Tag des Kampfes, auf die Begleichung der vollen Summe, aber direkt vor Ort. 

Eine Quittung bekomme ich deswegen aber natürlich nicht mehr – afrikanische Korruption.

Am nächsten Tag erreichen wir gegen frühen Nachmittag Boke, die erste größere Stadt in Guinea. Ab hier ist die Straße bis Conakry geteert. 

Wir machen eine Pause. Im Auto, in dem man in Ermangelung einer Klimaanlage, nur mit offenen Fenstern fahren kann, ist nach drei Tagen Piste, eine dicke, rote Staubschicht auf allen Armaturen. Wir sind selber ebenfalls total verdreckt und verschwitzt. 

In diesem erbärmlich aussehenden Zustand werden wir von einem Fernsehteam angesprochen. In den letzten Wochen hat die Geschichte meiner Reise immer öfter totale Verwunderung und Unverständnis bei der lokalen Bevölkerung hervorgerufen. Auch der Moderator kann es nicht fassen und wittert die große Story. Ich gebe mein erstes Interview auf französisch und einen Tag später läuft im Fernsehen Guineas ein Beitrag über mich. 

Es ist schon dunkel als wir in Conakry ankommen, beziehungsweise deren Ausläufer. Die Banlieues ziehen sich bis 50 Kilometer vor die Stadt.

Die Hauptstadt Guineas liegt auf einer langen, dünnen Halbinsel, dicht zusammen gepresst leben hier zwei Millionen Menschen. Und es kommt einem so vor, als gäbe es noch mehr Autos, die Stadt ist zu jeder Tag- und Nachtzeit eine einzige Blechlawine. 

Von der Spitze Conakry’s bis hinter die Banlieues sind locker drei Stunden Autofahrt einzuplanen. 

Teilweise herrscht bitterster Armut. Wir passieren Müllberge, auf deren Straßen gebaut wurden und es zerreißt einem das Herz, kleine Kinder hier nach essbarem graben zu sehen. 

Weiße Menschen sind in dieser Stadt gar nicht vorhanden, wir sehen nur vier Leute in drei Tagen. So stürzen sich Conakry‘s Straßenkinder sofort auf uns, sobald sie uns sehen.

Ich fühle mich schlecht hier drei Tage ein Leben zu führen, das selbst den Lebensstandard meiner Reise übersteigt. Durch meine Arbeit kenne ich eine wohlhabende Person aus Guinea, in deren großem Haus ich wohnen darf. Er selbst ist zwar nicht da, aber sein Bruder Amadou und sein Freund Aladji kümmern sich mehr als fürsorglich um mich, Jan und Matthias. 

Ich darf mein Auto abstellen und bin die nächsten drei Tage Beifahrer. 

So gleiten wir mit Aladji hinterm Steuer in einem klimatisiertem SUV und ungeheurer Geschwindigkeit durch Conakry. 

Die Stadt hat aufgrund der Überbevölkerung ein massives Problem ausreichend Elektrizität bereitzustellen und während wir durch die Stadt rasen, gibt es gerade einen Stromausfall, der bis zum nächsten Morgen anhalten wird. Es herrscht komplette Dunkelheit, meine Augen sehen nur die Scheinwerfer der anderen Autos, aber Aladji scheint Schlaglöcher, Personen und unbeleuchtete Motorräder schon Minuten vor mir zu sehen.

Das erste Mal auf meiner Reise schlafe ich in einem Zimmer mit Klimaanlage und wir genießen den Luxus ortskundiger Personen. So haben wir schnell alle Unterlagen für unseren Visa-Antrag für Sierra Leone zusammen und meine beiden Begleiter zeigen mir eine Hinterhofwerkstatt, die sich mein Auto anschaut. 

Seit Mauretanien verliere ich durch die Nabe meines rechten Hinterreifens Öl. Sowohl in Nouakchott, als auch in Dakar konnte das Problem nicht behoben werden. Ich bin höchst skeptisch, die „Werkstatt“ hat keinerlei Geräte und Werkzeug und scheint eher darauf spezialisiert zu sein, schrottreife Autos wieder zusammen zu flicken. Ich leihe ihnen meinen Wagenheber und sie beginnen höchst eifrig das Rad abzubauen. Das Problem liegt aber dahinter, es ist eine poröse Dichtung. Land Rover Spezial-Schraubenschlüssel werden gebraucht, sind aber natürlich nicht vorhanden (An Alex, meinen Mechaniker, les hier bitte nicht weiter). 

Mit einem kleinen Stemmeisen und einem Hammer schlagen sie eine tiefe Kerbe in die Mutter und schlagen dann in einem bestimmten Winkel so lange weiter darauf ein, bis sich die Mutter aufdreht. Der poröse Ring wird ausgebaut und ein Junge losgeschickt um auf dem unendlichen Schwarzmarkt ein Ersatzteil zu suchen. Nach zwei Stunden kommt er erfolgreich zurück – Auto repariert.

Bis zur Ausstellung des Visa bleibt sogar noch ein freier Tag. Mit Amadou und Aladji mieten wir eine Pirogge, ein kleines Holzboot, das eigentlich zum Fischen benutzt wird und fahren zu den kleinen Inseln, die vor Conakry liegen. Die Inseln sind weitestgehend unbekannt und unbebaut und selbst unsere sonst so ortskundigen Freunde waren noch nie dort. 

Dort angekommen erwartet uns das Paradies, endlose Sandstrände, im Wind wehende Palmen, grüner Dschungel. Wir fühlen uns wie Leonardo Di Caprio in „The Beach“ und als uns lokale Fischer ihre riesigen Krabben braten, die sie eben gefangen haben, ist der Tag perfekt.

Es fühlt sich schon fast wie Urlaub an, aber am nächsten Morgen hat mich Afrika wieder in seinen Fängen. Es geht weiter Richtung Sierra Leone, die Straßen sind wieder furchtbar und kurz vor der Grenze gibt es den nächsten Ärger mit korrupten Polizisten. Nachdem sie sich jedes einzelne Dokument dreimal angeschaut haben, aber nichts finden konnten, fangen sie an zu behaupten, wir hätten einen falschen Einreisestempel. Die Aktion ist an Lächerlichkeit nicht zu überbieten und wir sind seit der letzten Aktion ebenfalls extrem dünnhäutig geworden. Die Polizisten haben weder Waffen, noch Funkgeräte, noch Fahrzeuge. Wir raffen unsere Dokumente zusammen und springen zum Auto. Mit durchdrehenden Reifen rasen wir davon und lassen die schreienden Officer im Staub zurück. Sie können uns nicht verfolgen und wir sind gleich in Sierra Leone.

Wir erreichen die Grenze, mein Magen hat Conakry’s Essen nicht vertragen und dreht sich zum 38. mal auf links, diesmal kommt noch Fieber dazu, mir geht es gar nicht gut und ich fange an wegzudämmern.