
D.R. Kongo
Am nächsten Morgen wache ich an der Grenze des Kongos auf. Das wohl instabilste Land Afrikas steht ausgerechnet heute vor einem langersehnten Regierungswechsel. Ob der wirkliche Veränderungen herbeiführt, darf bezweifelt werden. Die Bevölkerung hat zumindest große Hoffnung.
Mit angolanischem Internet prüfen wir ein letztes Mal die aktuelle Lage. Ich stoße auf ein Interview des scheidenden Präsidenten Kabila. Angesprochen auf die Zukunft seines Landes verkündet er: „The sky is the limit“.
Hinsichtlich der Lage in seinem Land kann ich dabei nur herzlich lachen. Und während ich über die Probleme der anderen Länder nachdenke, die ich auf meiner Reise kennengelernt habe, merke ich, dass sich scheinbar im Kongo alle zu bündeln scheinen.
Aktive terroristische Gruppierungen im Osten, die jede Woche mordend durch das Land ziehen, über 500 aktuelle Ebola-Tote, fehlende Infrastruktur, kein Straßennetz, Korruption bis zum Mond und wieder zurück. Eine Art Diktator an der Macht, dazu eine Wahl, bei der selbst ein deutsches Kleinkind vor Ungerechtigkeit heulen würde.
Um drei Uhr morgens wurden die Wahlergebnisse veröffentlicht, von den drei Kandidaten hat ein Außenseiter gewonnen. Wenn die Wahl denn fair ablief, – was sowohl international, als auch von den anderen beiden Kandidaten sofort angezweifelt wird.
Zur Sicherheit wird zuerst das Internet- und Telefonnetz gekappt. Angeblich aus Angst, Ausschreitungen und Unruhen würden sich verbreiten. Für meine Durchquerung bedeutet es, dass es keine Möglichkeiten mehr gibt, sich über die aktuelle Sicherheitslage zu informieren.
Seit 59 Jahren hat es im Kongo keinen friedlichen Regierungswechsel mehr gegeben. Von den bisherigen fünf Präsidenten wurden zwei ermordet. Der aktuelle Präsident Kabila – seit 12 Jahren im Amt – wird von den Nachbarstaaten als machtbesessener Diktator gesehen.
Schon vor zwei Jahren hätten die Wahlen eigentlich stattfinden sollen, wurden von ihm aber ausgesetzt und anschließend immer weiter nach hinten verschoben. Und auch das Auszählen der Stimmen dauerte jetzt schon über eine Woche.
Mein Visa ist aber nur noch heute und morgen gültig. Es bleiben zwei Tage um einen Abschnitt von 400 Kilometern zu durchqueren. Klingt einfach, aber „Dr. Kongo“ hat vorgesorgt: Es regnet seit einer Woche auf den wohl berüchtigtsten Straßen Afrikas. Hier wird es keinen flüssigen Matsch geben, hier wird der Boden zu undurchfahrbarem Lehm werden.
Daves und mein Respekt ist groß. In Nigeria war alles irgendwie planbar und vorhersehbar. Aber DRC scheint einfach nur ein explosives Pulverfass zu sein, dass kurz vor dem Ausbruch steht und wir sind mittendrin.
Alle sind nervös, selbst die kongolesischen Grenzer wollen nicht mit uns über Politik reden. Zu groß ist die Angst vor Mitmenschen, etwas falsches zu sagen.
Der Wahnsinn nimmt seinen Lauf, als wir schon vier Stunden an der Grenze verbringen, da der einzige Beamte, der befugt ist, unsere Pässe zu stempeln, auf dem Weg im Matsch stecken bleibt.
Wir nutzen die Zeit und räumen den Geldautomaten an der Grenze aus. Überraschenderweise spuckt er keine kongolesischen Francs aus, sondern druckfrischen Dollarnoten. Wenig später wird uns klar warum: Die einheimische Währung ist praktisch nicht mehr existent. Es wird alles in amerikanischen Dollar gezahlt.
Als wir endlich loskommen, ist es schon mittags und unser Tagesziel, das in 200 Kilometer östlich liegt, ernsthaft gefährdet. „Nur nicht im Dunkeln fahren – das gleicht praktisch einem Selbstmord“, geht mir durch den Kopf.
Drei Kilometer später brauchen wir einen Plan B. Daves Motorrad hat einen Platten und wir verlieren weitere zwei Stunden. Wir müssen umdisponieren und beschließen in Muanda zu übernachten. Und wir haben Glück: Eine katholische Mission bietet uns dort Schutz und Herberge. Statt 200 geplanten Kilometern bis zur sicheren Stadt Matadi haben wir nur 50 Kilometer geschafft. Unmöglich morgen die übriggebliebenen 350 Kilometer nach Angola zu schaffen.
Ich werde mit einem abgelaufenem Visum aus einem der korruptesten Länder Afrikas ausreisen müssen. Vor meinem inneren Auge sehe ich Säcke von Dollarnoten in den Taschen gieriger Grenzer verschwinden. Aber das ist mir in dem Moment lieber, als nachts auf der Straße zu sein.
In Muanda durchsuchen wir die Stadt nach einem Schlauch für Daves Motorrad. Auch hier ist die Angst der Bevölkerung deutlich spürbar. Wir fahren vor einem Reifenshop vor. Ängstlich verstecken sich die Leute hinter Reifenstapeln. Nachdem ich ihnen erklärt habe, was wir wollen, springen zwei von ihnen zu mir ins Auto und dirigieren mich zu einem Laden, in dem es Motorradschläuche gibt. Auf dem Weg dorthin erzählen sie mir, sie dachten wir wären die kongolesische Geheimpolizei und würden sie abholen. Sie wissen auch, dass es in der Hauptstadt Kinshasa und in Boma, einer Stadt, die wir auch durchfahren, schon die ersten Toten gibt. Wichtige Berichte für Dave und mich, denn durch die gekappten Internet- und Telefonverbindung sind wir in einem Informationsloch.
Leider schafft auch der neue Schlauch keine Abhilfe, denn am nächsten Vormittag kassiert Dave den nächsten Platten. Nur 60 Kilometer vor der Stadt Boma, wo vor zwei Monaten ein deutsches Pärchen mit ihrem Auto überfallen wurden. Der Angriff endete tragischerweise tödlich für den Mann, die Ehefrau überlebte nur schwer verletzt.
Ich fühle mich wie ein lahmes Zebra umgeben von hungrigen Löwen. Um das Risiko zu minimieren und weitere Stopps auszuschließen, beschließen wir das Motorrad in den Defender zu laden. All meine Kisten wandern auf das Dach, wir Schrauben in Windeseile das Motorrad auseinander und wuchten die 300 Kilo Maschine ins das Auto. Ich bin spartanisch unterwegs und habe meine Habseligkeiten in nur drei Bundeswehrkisten verstaut.
Trotzdem habe ich jetzt erhebliches Übergepäck, nur mühsam quält sich der Rote sandige Hügel hoch und runter. Die Straße wird immer schwieriger zu befahren, da der Regen wieder verstärkt eingesetzt hat. Ironischerweise befinden wir uns auf der National1, der Hauptstraße des Landes, was man allerdings nicht sieht.
Wir halten trotzdem einen 40 km/h Schnitt, bis es plötzlich stockt. In einer Ebene stauen sich Autos und Lkws. Als wir uns nähern, wird uns klar warum. Da ist er, der kongolesische Lehm. Ca. 15 Trucks und doppelt so viele Autos stecken bis zur Karosserie im Matsch. Wir springen aus dem Auto und versinken bis zu den Waden im gelbgefärbtem Lehm. Ich ziehe mein Fuß unter Mühen heraus, allerdings ohne meinen Schuh, der bleibt erstmal stecken.
Etwa hundert Leute, ausgespuckt aus den völlig überladenen Autos stehen mehr oder weniger verdreckt und ratlos umher.
Die Lkws haben knietiefe Furchen in die Straßen getrieben, bis sie dann vollends steckengeblieben sind.
Ein etwas 20 Mann starker Trupp aus Männern mit Schaufeln sind die einzige Hoffnung der genervten Trucker und gestrandeter Passagiere. Geschaufelt wird aber nur wer bezahlt und wer das nicht tut, dem wird ein Baumstamm vor die Reifen geschmissen. Die Stimmung ist aufgeheizt, auch das Militär ist jetzt da und schlichtet zwischen Lkw-Fahrern und den Schaufel-Männern.
Wir sind natürlich die einzigen Weißen und schauen uns das Treiben erstmal in Ruhe an. Schnell bildet sich eine Traube von zwanzig Menschen um mich, die abwechselnd kalte Getränken aus meinem Kühlschrank, Geld oder meine Schuhe wollen. Ein Kamera-Team des regierungsnahen Senders RTNC taucht auf und ich gebe auf französisch ein Interview zu der sich darbietenden Situation.
Leider stehen wir ganz hinten in der Schlange, aber wir können nicht noch einen Tag verlieren. Ich sperre das Mitteldifferential und fahre unter Hochgeschwindigkeit an den kreuz und quer stehenden Lkws durch. Einmal stecken bleiben, würde bedeuten, die gierige Schaufelcrew engagieren zu müssen. Wild hupend pflüge ich mich weiter durch den Morast, meine Räder sind bis zu den Radkästen mit gelber Pampe zugequollen. Verängstige Menschen springen in den Straßengraben, doch ich kann nicht anhalten. Nach 300 Metern habe ich die schwierigste Passage durchquert. Die Leute jubeln mir zu, ich bin wohl seit langer Zeit das einzige Auto, das hier ohne Hilfe durchgekommen ist.
Wir durchfahren karge Dörfer, halb im Schlamm versunken, vorbei an Gruppen junger Männer, die uns grimmig nachschauen. Die Unzufriedenheit auf dem Land ist spürbar groß und wir sind froh, hier nicht anhalten zu müssen.
Abends erreichen wir Matadi, eine Stadt am Rande des Kongo Fluss, die sogar von schweren Schiffen angelaufen werden kann. Dementsprechend groß und wuselig geht es zu. Auch Dave kommt langsam wieder zu sich, nachdem er erstmal verdauen musste, seine Afrika-Durchquerung nicht komplett selber gefahren zu sein.
Es regnet weiter in Strömen und die Straßen der hügeligen Stadt sind steil, eng und rutschig. Der Defender ist so schwer, dass ich auch auf Teer nur noch mit Untersetzung weiterkomme. Immerhin erreichen wir gegen 22 Uhr ein Hotel, das zwar 50$ kostet, aber wenigstens eine Dusche und etwas Warmes zu essen hat.
Der nächste Tag beginnt besser, als die letzten beiden. Die Straße ist geteert und so erreichen wir schon mittags die Grenze zu Angola. Innerlich bereite ich mich auf eine hohe Schmiergeldzahlung vor, aber keinem Grenzer scheint mein abgelaufenes Visum aufzufallen. Dann werden wir plötzlich in das Büro des Bosses zitiert. Aber anstatt meines Passes, bemängelt er nur das Image seines Landes in Europa. Wir sollen doch bitte nur positives erzählen und auch, dass die Wahl friedlich und organisiert abgelaufen wäre. Dave und ich befinden uns immer noch in einem Informationsloch, aber einen Tag später erfahren wir, dass es in nahezu jeder größeren Stadt Ausschreitungen mit Todesfälle gibt und gegeben hat.
Der Kongo steht weiterhin vor einer unsicheren Zukunft und man kann nur hoffen, dass dieses so rohstoffreiche Land endlich in ruhigere Bahnen gelangt. Die Bevölkerung wünscht sich nichts anderes.